„Romeo und Julia“ an der Jörg-Ratgeb-Schule – Es war die Nachtigall und nicht die Lerche …

Wer kennt sie nicht, die berühmten Zeilen, die Julia da ihrem Romeo ins Ohr flüstert, und überhaupt, wer kennt nicht „Romeo und Julia“, das berühmteste Liebespaar der Welt, Verona, der berühmteste Balkon der Welt, und eine Tragödie, die unter populären Mythen, Halbwissen und Klischees gnadenlos verschüttet ist. Kann man sich als Schultheater einem solchen Stück überhaupt annähern, ohne in die Klischeefalle zu stolpern? Ja, man kann. Und so machte sich der Literatur-und-Theater-Kurs der Jörg-Ratgeb-Schule daran, Anfang Januar das schmale Reclamheft in die Hand zu nehmen, und ein ungemein frisches und vielschichtiges Werk freizulegen, welches mit einer Vielzahl an unterschiedlichen Charakteren, Sprachregistern und Unterhaltungsebenen aufwartete. Denn Shakespeares „Romeo und Julia“ ist nur zu einem Teil die große tragische Liebesgeschichte, daneben tummeln sich äußerst lebhafte Figuren wie etwa der manisch-cholerische Graf Capulet, die quasselige Amme, oder der quirlige Freund Mercutio, der „in einer Minute mehr spricht, als er in einem Monat verantworten kann“ und so neben romantischer Liebe auch eine deftige Portion flegelhafter Obszönitäten platziert.


Im Frühjahr begann für die 18-köpfige Gruppe die Probenphase, die dann schließlich in der vergangenen Woche in die reale Aufführungsphase mündete und von Mittwoch, den 16.07. bis Freitag, den 18.07. den schuleignen Vortragssaal mit vier großartigen Darbietungen bis auf den letzten Platz füllte. Für das Bühnenbild, welches aus verschiedenen Spielebenen und einem Panoramablick auf Veronas Marktplatz bestand, zeichneten sich aus dem Kurs Ellen Landsgesell und Edwin Merk verantwortlich. Fast alle der jungen Akteure hatten bis dato noch nie vor großem Publikum Theater gespielt, und so überwogen in der heißen Probenphase für viele auch zunächst die Zweifel, ob man dem Ganzen überhaupt gewachsen sei. Gewachsen sind dann alle 16 Akteure, und zum großen Teil auch über sich hinaus gewachsen – ein Lernprozess, den man in dieser Heftigkeit und Intensität sonst wohl kaum im Schulalltag durchleben kann.

Plakat der Veranstaltung
Plakat der Veranstaltung
 
 
Julia (Evin Kilinc), ihre Amme (Sophia J.) und Julias Mutter (Elisabeth Dite) erörtern die Möglichkeit einer baldigen Hochzeit mit dem Grafen Paris
Julia (Evin Kilinc), ihre Amme (Sophia J.) und Julias Mutter (Elisabeth Dite) erörtern die Möglichkeit einer baldigen Hochzeit mit dem Grafen Paris
"Sie haben Würmerspeis aus mir gemacht" - Benvolio (Daniel Klisch) und Romeo (Pauline Okyere) neben dem erdolchten Freund Mercutio (Julian Laure)
„Sie haben Würmerspeis aus mir gemacht“ – Benvolio (Daniel Klisch) und Romeo (Pauline Okyere) neben dem erdolchten Freund Mercutio (Julian Laure)
 
Dicke Luft im Hause Capulet: die Amme (Sophia J.), das Grafenpaar Capulet (Jan Wezel und Katharina Schuster) neben und über der verzweifelten Julia (Evin Kilinc)
Dicke Luft im Hause Capulet: die Amme (Sophia J.), das Grafenpaar Capulet (Jan Wezel und Katharina Schuster) neben und über der verzweifelten Julia (Evin Kilinc)

Dieser Lernprozess war dann auch für das Publikum absolut sichtbar, denn mit viel Spielfreude wurde das Drama und sein komplexes Personal auf der Bühne lebendig: Pauline Okyere als Romeo und Evin Kilinc als Julia hauchten ihrer Rolle so viel Zartheit und Verzweiflung ein, dass sie den Zuschauer regelrecht vergessen ließen, dass es sich hierbei um ein allseits bekanntes Liebespaar und um eine (fast) allseits bekannte Geschichte handelte. Ebenso frisch und lebendig gruppierten sich um die beiden Sophia J. als Julias Amme, die mit sächsischem Dialekt und schriller Schrulligkeit das Publikum immer wieder zum Lachen brachte, oder das Grafenehepaar Capulet (gespielt von Jan Wezel und Katharina Schuster bzw. Elisabeth Dite), die mit ihrer cholerischen bzw. unterkühlten Borniertheit ihre Tochter Julia in die wahre Tragödie erst hinein trieben. Und nicht zu vergessen Romeos Weggefährten, Daniel Klisch als ausgleichender Benvolio und Julian Laure als draufgängerischer Mercutio, dem für seine Späße keine Gürtellinie zu tief hing, und dafür dann als moralischer Ausgleich Elisa Stauß als listig-frommer Pater Lorenzo, der eigentlich nur Gutes tun wollte und durch eine Verkettung unglücklicher Zufälle die endgültige Tragödie erst besiegelte, „denn niemals gab es ein so herbes Los, als das von Julia und ihres Romeos“. Nachdem der strenge Prinz von Verona (gespielt von Alicia Rex) mit diesen Worten schloss, war im Publikum kein Halten mehr und die jungen Akteure wurden für ihre frische Darbietung mit kräftigem und lang anhaltenden Applaus belohnt.

Text/Fotos: Nadine Lindenthal

Die Medienwerkstatt unterstützte in allen technischen Belangen (Lichtsteuerung und Musik-Zuspielungen) im Vortragssaal der Jörg-Ratgeb-Schule und filmte die Abend-Aufführungen, um daraus eine DVD-Dokumentation für die Teilnehmer zu erstellen.